
Was mir meine Reise auf Sansibar über das Leben beigebracht hat
Lernen, Wachsen, Träumen auf Sansibar
Als ich 2023 nach Sansibar reiste, um für vier Monate das Hotel einer Freundin zu leiten, ahnte ich nicht, wie sehr mich diese Insel verändern würde. Zwischen den palmengesäumten Stränden und der historischen Altstadt von Stone Town entfalteten sich Geschichten von Hoffnung, Sehnsüchten und der Kraft des Wissens, die ich so nie erwartet hätte.
Ihre Begeisterung und Entschlossenheit, sich zu verbessern, berührten mich mehr als jedes exotische Urlaubsziel, das ich jemals gesehen hatte.
Hunger nach Wissen und besseren Chancen
Eines der ersten Dinge, die mir auffielen, war die junge Generation Sansibars – ein Kollektiv von Menschen, die hungrig nach Wissen sind und sich nicht mit dem zufriedengeben wollen, was ihre Eltern erreicht haben. Besonders eine junge Kellnerin, die davon träumte, Französisch zu lernen, um besser mit internationalen Gästen zu kommunizieren, prägte mich tief. Sie wusste, dass diese Sprache ihr helfen würde, ihre Chancen zu verbessern und die Grenzen ihrer Umgebung zu überwinden. Also begannen wir, jeden Tag ein paar neue Wörter zu lernen. Sie war so motiviert, dass sie mich schließlich nur noch auf Französisch bediente. Ihre Begeisterung und Entschlossenheit, sich zu verbessern, berührten mich mehr als jedes exotische Urlaubsziel, das ich jemals gesehen hatte.
Ein anderer junger Kellner, dessen Englisch noch ausbaufähig war, teilte mit mir seinen Traum, in Italien arbeiten zu wollen. Zu Beginn war es schwierig, mit ihm zu kommunizieren – er nickte oft höflich, aber seine Augen verrieten, dass er nicht wirklich verstand, was ich sagte. Doch im Laufe der Zeit veränderte sich etwas. Wir begannen, viel mehr zu reden. Er fragte mich nach englischen Büchern zum Ausleihen, die ihm beim Lernen helfen könnten. Diese Neugier und der Wille, über das, was er kannte, hinauszuwachsen, waren beeindruckend. In seinen Augen konnte ich den Funken sehen, der in vielen jungen Menschen leuchtet: den Traum von einem besseren Leben, von einer Zukunft jenseits des Bekannten.
Was mich auch nachdenklich stimmte, war die wirtschaftliche Realität, die viele Sansibaris durchleben. Der Verdienst eines Kellners auf Sansibar beträgt nicht mehr als 200 Euro im Monat – das ist ungefähr der Preis, den eine vierköpfige Urlauberfamilie für ein Abendessen in einem guten Restaurant auf Sansibar bezahlt. Es ist kein Wunder, dass viele junge Menschen von einem Leben im Ausland träumen, nach Europa oder in andere wohlhabendere Teile der Welt auswandern wollen, um der Armut zu entkommen, die sie zu oft erleben.
Freiheit durch Bildung
Doch neben all den Gesprächen, die ich führte, gab es auch ein Erlebnis, das mir besonders im Gedächtnis blieb: Auf einem Schulbus war eine Aufschrift zu lesen, die lautete: „Education is key to liberation“ – Bildung ist der Schlüssel zur Befreiung. Auf der einen Seite war ich tief berührt, dass hier Bildung so hochgehalten wird. Aber gleichzeitig schmerzte mich dieser Satz, weil er auch die noch immer präsente Last der Kolonialgeschichte widerspiegelte. Der Kolonialismus mag zwar offiziell beendet sein, doch viele der wirtschaftlichen und politischen Strukturen erinnern immer noch an diese Zeit. Die Hoteleigentümer sind größtenteils weiße Ausländer, die Investoren kommen überwiegend aus dem Ausland, und auch in der Politik spielen Berater aus westlichen Ländern eine große Rolle. Was mir jedoch besonders auffiel, war die Haltung vieler Sansibaris gegenüber ihrer eigenen Kultur und Geschichte. Ihnen wurde oft beigebracht, dass sie nicht gleichwertig sind – sei es in der Art, wie sie behandelt werden oder in den Möglichkeiten, die ihnen offenstehen. Es schien, als ob viele in diesem Land noch immer auf die Bestätigung von außen warteten, um ihren eigenen Wert zu erkennen, und das machte mich traurig – denn wahre Freiheit beginnt dort, wo wir uns selbst als gleichwertig und stark begreifen.
Hindernisse im Kopf
Eine Episode, die mir weh tat, ereignete sich am Flughafen. Es war mein letzter Tag auf Sansibar, und ich wollte einer einheimischen Freundin den Flughafen zeigen, da sie noch nie geflogen war, geschweige denn den Flughafen gesehen hatte. Als wir die Eingangshalle betraten, fragte sie zögerlich, ob sie überhaupt hinein dürfe. „Natürlich“, sagte ich, „jeder darf überall hin.“ Doch als wir versuchten, den Gepäckaufgabebereich zu erreichen, wurden wir von einem Sicherheitsmann aufgehalten. Meine Freundin durfte sich nicht mit mir in die Schlange zum Check-in stellen und fühlte sich in ihrem Zögern bestätigt. Nachdem ich ihn überzeugt hatte, ließ er uns schließlich passieren. Doch in diesem Moment wurde mir schmerzhaft bewusst, wie sehr die Mentalität, bestimmte Dinge „nicht zu dürfen“, auch heute noch in den Köpfen der Menschen verankert ist – ein Gefühl, nicht gleichwertig zu sein, das tief in der Geschichte des Landes verwurzelt ist. Schlussendlich war meine Freundin dankbar, dass sie das alles mal erleben durfte, und bemerkte ungläubig, wie selbstbewusst ich vorging. Sie nahm sich vor, ab jetzt für einen Inlandsflug auf das tansanische Festland für den nächsten Familienbesuch zu sparen, anstatt wie immer den 24-Stunden-Bus zu nehmen.
Susanne und der Weg zur Selbstbestimmung
In meiner Zeit auf Sansibar lernte ich auch Susanne kennen, eine Holländerin, die vor 15 Jahren nach Sansibar kam, um zu bleiben. Sie hatte eine Ausbildungsstätte gegründet, die junge Sansibaris in Tourismusberufen ausbildet. Susanne hatte eine klare Vision: Sie wollte vor allem die Frauen und Mädchen in den Dörfern ermutigen, einen Beruf zu erlernen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Mehrheit der Angestellten in den Hotels Sansibars stammt vom tansanischen Festland – dort gibt es viele Hotelfachschulen, meist unterstützt durch europäisches Geld. Doch auf Sansibar selbst, wo die Arbeitslosigkeit bei rund 70% liegt, fehlt es an solchen Einrichtungen. Susanne hilft diesen jungen Menschen, neue Perspektiven zu entwickeln. Und das alles ist nur dank Spenden möglich, da die jungen Menschen kein Schulgeld zahlen können. Bei unserem Sansibar Retreat besuchen wir Susannes’ KAWA Foundation und können mit StudentInnen sprechen. Es war rührend, ihren Einsatz zu sehen, und es ließ mich darüber nachdenken, wie wenig dankbar wir in Europa manchmal über das Geschenk der Bildung und unsere Möglichkeiten sind.
All diese Begegnungen und Erfahrungen haben mich verändert. Als ich Sansibar verließ, hatte ich nicht mehr das typisch deutsche Bedürfnis, über „Alltagsprobleme“ zu schimpfen. Stattdessen fühlte ich eine tiefe Dankbarkeit für all das, was ich bisher erreichen durfte. Und ich wünsche mir, dass mehr Menschen die Chance hätten, diese Perspektive zu erleben. Es würde uns nicht nur Demut lehren, sondern auch das Verständnis dafür, dass wir in einer Welt leben, die viel mehr miteinander teilen könnte, wenn wir nur einander zuhören und voneinander lernen würden.
Die Geschichten von Sansibar haben mir eines klar gemacht: Die Kraft der Veränderung liegt in der Bildung, im Lernen, im Wachsen und vor allem im Träumen. Und vielleicht, wenn wir unsere Träume nie aufgeben, können wir wirklich etwas bewirken – nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere.
